„Lottes Glück“ im Bürgertreff

Die Novelle von Dora Duncker (1855 – 1916) klingt für manche Ohren vielleicht ein wenig altbacken. „Lottes Glück“ spielt in der Zeit der industriellen Revolution, Dunckers Schreibstil entspricht dem der Hochzeit der romantischen Literatur. Doch der Inhalt der Novelle hat nichts an seiner zeitüberspannenden Aktualität eingebüßt. Das hat der Schauspieler Gerald Leiß dem Publikum am vergangenen Freitag (15. März) bei der Lesung im Bürgertreff verdeutlicht.

Gerald Leiß ist ein Leseprofi. Nicht nur aufgrund seiner Stimmbildung als Schauspieler. Gerade mit seinem wöchentlichen „LeseLiveStream“ hat er überragende Erfahrung mit dem Vorlesen. 90 Minuten nahm „Lottes Glück“in Anspruch. Der Schauspieler bannte das Publikum ohne Pause in die spannende Geschichte von Liebe und Leid. Am Ende der Novelle mussten die Zuhörenden erst wieder auftauchen aus der Gefühlswelt, die das Vorlesen in ihnen gestaltet hatte.

Der Plot der Novelle ist schnell erzählt: Eine junge Frau liebt einen Stahlkocher, lebt in dessen Hütte und ist dessen Launen ausgesetzt. Als sie wieder einmal drangsaliert wird, nimmt ein wohlhabender Unternehmersohn die Frau und deren Schwester auf. Sie verlieben sich ineinander. Als die Heirat ansteht, entflieht die junge Frau der Aussicht auf ein Leben in Geborgenheit und Wohlstand. Sie geht – aus Liebe – zurück zum gewalttätigen Stahlkocher.

Ein alles anderes als märchenhaftes Happyend. Entsetzlich?! Unglaublich konstruiert? Mitnichten. Gibt es nicht auch heute in unserer aufgeklärten und freiheitlichen Welt der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und Hilfsangeboten für von Gewalt betroffenen Eheleuten ähnliche Fälle? Frauen, die in Frauenhäuser fliehen und anschließend zu ihren Partnern zurückkehren. Entweder aus innerer Abhängigkeit oder Liebe. Der „Literarische Feierabend“ entließ die Zuhörenden mit Fragen zur Tiefe der menschlichen Existenz.

Wer Gerald Leiß öfter hören möchte, kann sich auf dem Portal Youtube in den Kanal Leselivestream mit Gerald Leiß einklicken. Dort sind die 257 Sendungen von jeweils einer Stunde zu sehen und hören, die der Schauspieler seit knapp vier Jahren eingestellt hat. Unter Videos sind die einzelnen Text rubriziert. Mehrere Bücher hat Leiß bereits komplett vorgelesen.

Wer Gerald Leiß „live“ auf Youtube erleben möchte, sollte sich montags um 20.15 Uhr einloggen.

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