Jürgen Roth (* 1968 in Berleburg) ist ein deutscher Schriftsteller. Der Autor erlebte als Jugendlicher mehrere Ortswechsel. So lebte er zeitweise in Hamburg, Bonn, den Niederlanden und Brüssel. So steht’s in der freien Enzyklopädie Wikipedia. Am Freitag (25. April) war er zu einer Lesung im hiesigen Bürgertreff. Mit Neuendettelsau, sagt er, sei er „auf merkwürdige Weise verwachsen“. Merkwürdig vielleicht insofern, dass viele seiner Texte kreisen um Neuendettelsau, den, Zitat, „mir ein vertrauter, ja zuweilen lieber Ort“.
Die tiefste fränkische Provinz, in die er Neuendettelsau einordnet, hat der promovierte Germanist eingetauscht gegen Frankfurt am Main, europäische Finanzmetropole und viele Jahre sein Studien-, Arbeits- und Wohnort. Was ein bisschen seinen Beziehungen aus Jugendjahren und ein bisschen mehr seiner engen Beziehung zu den erst jüngst verstorbenen Eltern geschuldet ist. Die Provinz ist dem kreativen Autor mit mehr als zwei Dutzend Buchprojekten und einer unübersehbaren Flut an Beiträgen in republikweit verbreiteten Presseorganen indes Inspiration für sein Schaffen. „Aus der Provinz“ ist die lose Reihe wortreich festgehaltener Beobachtungen überschrieben, die Leserinnen und Lesern mitteilen, dass Menschen auch außerhalb von Metropolen das Leben genießen.
Jürgen Roth, ein grundgütiger und geselliger Mensch, weiß mit Worten und Wortschöpfungen gleichsam akrobatisch umzugehen. Er kann sie schonungslos und entlarvend einsetzen, bissig und bis an den Rand des Justiziablen satirisch sein, selten, aber auch ins Fäkale abdriftend. In der Provinz nimmt er mal das sich zum Sanierungsfall fusionierte Sozialunternehmen zur Brust, karikiert das als Trophäenschau bemäntelte Trinkgelage, überzeichnet das Gebelfer eines alternden Landwirts bis zur Schmerzgrenze, verewigt die Klage über den Niedergang der Einkaufskultur in expandierenden Geschäften oder beklagt mit satirischem Florett den Schmerz, den vermeintlicher Fortschritt juvenilen Erinnerungen antut. Da hält Jürgen Roth seinem Publikum (in diesem Fall dem hörenden, meist dem lesenden) den Spiegel vor. Manchen gefriert das Schmunzeln im Gesicht. Wer dann ein wenig nachdenkt, könnte sich neu erden in seiner Provinz.
Seine andere Seite zeigt der unkonventionelle Autor indes auch. Etwa mit dem kurzen Text über seinen Großvater Gerch, der den letzten Lebensabschnitt im Eichhornhaus der Diakonie verbrachte. Die tiefe Zuneigung, ja Liebe des Enkel zum Opa scheint zart zwischen den Worten hervor. Oder die Beschreibung des Rotkehlchens, dem biedermeierlichsten aller heimischen Vögel. Sätze voller Zärtlichkeit, die Jürgen Roth beim Vorlesen im Bürgertreff emotional ergreifen angesichts persönlicher Erinnerungen. (Der Rotkehlchen-Text stammt von Bruder Thomas).
Das Lese-Programm an diesem Freitag ist kaleidoskophaft zufällig. Einige Tropfen aus dem unüberschaubar großen Sammelbecken von Wortpuzzles, die in drei Jahrzehnten als freier Schriftsteller entstanden sind. Sie reichen aus aufmerksam zu machen, dass der eher unscheinbare Zeitgenosse, der wenig auf sein Äußeres achtet, die Zigaretten selbst dreht und gern mal in der Kneipe ein, zwei Bier trinkt, nicht nur ein (im doppelten Wortsinn) scharfer Beobachter ist, sondern auch wacher kritischer Geist und ein Wortkünstler, ein literarisches Juwel.
Übrigens: Zwischen den vielen Worten kamen auch zwei Musiker zu Ton: Hansjörg Dodenhöft (Klavier) und Jomie Wild (Querflöte). Ein sehr bewährtes Duo aus der Provinz, immer gern gesehen bzw. gehört im Bürgertreff. Und kein bisschen provinziell.