Lese-Päckchen und anregendes Plaudern

Es mutet die Zuhörerschaft etwas fremd an, wenn sie Titus Müller zuhört, der aus seiner neuesten Erzählung liest: Wie die schüchterne Junika erstmals im Leben einen Füllfederhalter in der Hand hat und einen Brief an ihren Nachbarn schreibt, in den sie verknallt ist. Wie ungeschickt sie sich anstellt und die Hilfe der das Haus überwachenden KI braucht, um ein passables Ergebnis zustande zu bringen. Soll man schmunzeln? Ungläubig dreinschauen? Oder einfach interessiert zuhören?

Es lohnt sich an diesem Dienstagabend (26. November), dem Schriftsteller Titus Müller bei seiner Lesung im Bürgertreff neugierig zuzuhören. Drei Abschnitte liest er aus seinem 100-seitigen Buch vor. Abschnitte, die nicht zusammengehörig erscheinen. Denn Müller will aus seiner Erzählung, einem Stück Science-Fiction über ein vielleicht gar nicht so fernen Weihnachtsfest, nicht allzu viel verraten. Deswegen packt er – um im Bild zu bleiben – Päckchen der Geschichte aus und legt sie dem Publikum als Geschenk vor. Eben das Päckchen, wie Junika die erste Erfahrung mit einem Füllfederhalter macht. Und das Päckchen, in dem die Haus-KI versucht, eine Liebesbeziehung zu verhindern, gleichzeitig aber machtlos ist, dass der alte Richard Janoschitz sich mit Büchern umgibt statt der digitalen Welt zu vertrauen. Und schließlich noch die Episode, als Richard sich von festlicher Stimmung berührt seinen Nachbarn gegenüber öffnet, die Untiefen seines Inneren herauskehrt und tiefe Empathie empfängt. Wer die ganze Geschichte erfassen möchte, muss das Büchlein selbst lesen.

Das Zuhören lohnt allerdings auch zwischen dem Öffnen der Lese-Päckchen. Wenn Titus Müller aus seinem Leben erzählt. Seiner Kindheit in Marzahn (Ostberlin), wo er, der Pfarrerssohn, der einzige in der Klasse war, der an Gott glaubte, und wegen staatlicher Diskriminierung deshalb den Bäckerberuf ergreifen wollte. Den Fußmarsch mit Bruder und Mutter durch die plötzlich offene Mauer in den Westen. Seine bescheidenen Schilderung des Wegs vom Lehramtsstudenten zum erfolgreichen Schriftsteller mit über 30 Titeln. Die Anekdoten über Zugerlebnisse in den USA, nach Venedig, Paris und London. Sein Plädoyer fürs Zeitung- und Bücherlesen, fürs neugierig-Bleiben, fürs Interesse an den Mitmenschen – und schließlich auch für den Bürgertreff und die Freimund-Buchhandlung (die gemeinsam ihn nach Neuendettelsau eingeladen hatten).

Titus Müller, das wurde den Besucherinnen und Besuchern der Lesung klar, ist kein Bestseller-Autor, kein Schriftsteller, der mit Spannung und/oder Lautstärke seine Leser mitreißen will. Im Plauderton philosophiert er christlich grundiert Allerweltswahrheiten, die zum Nachdenken anregen und auch weiterschwingen, nachdem er sich verabschiedet hat. Titus Müller – eine sehr gute Wahl der Buchhändlerin Maria Neumann!

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